2.    Allgemeiner Überblick über die Bedeutung und Einteilung von Mikroorganismen

 

2.1.             Zeitlicher Überblick...

... über die Entstehung der Erde und die sich entwickelnden Organismenkategorien:

            Urknall, Erde, Archaea, Procaryonten, Eucaryonten, Metazoa

 

Bakterielle Lebensformen waren die ersten Organismen auf der Erde. Vor etwa 3,8 Milliarden Jahren entwickelten sich erste Urbakterien, die denen der heutigen Archaebakterien möglicherweise recht ähnlich waren. Sie haben sich im Laufe der Evolution immer wieder an neue Lebensumstände wie auch an neu auftretende Lebensformen adaptieren können! Die heute lebenden Bakterien stellen das momentane Ende dieser evolutionären Entwicklung dar. Die Verschiedenheit der einzelnen Bakterien-Taxa (Gattungen, Fa­milien) wird in der heute gültigen Bakteriensystematik reflektiert.              

Abb. 1: Entwicklung von Lebensformen auf der Erde.

 

Erst etwa 1 Milliarde Jahre nach dem geschätzten Auftreten erster procaryotischer Lebensformen entwickelten sich Formen einfacher Eucaryonten. Im weiteren Verlauf der Evolution gingen Pro- und Eucaryonten zumindest zweimal sehr enge à Symbiosen ein:

(I)         Aus primitiven Blaualgen (Cyanobakterien) entstanden nach Integration in phylogenetisch alte Eucaryontenzelle die heutigen Plastiden (die rezenten, Photosynthese treibenden Chloroplasten) und

(II)        aus primitiven Eubakterien entstanden nach Integration die Mitochondrien, welche in den rezenten Eucaryonten den Energiestoffwechsel betreiben.

Die mittlerweile durch eine Reihe von Indizien gestützte Annahme der Evolution von Eucaryonten durch Eingehen der Symbiosen wird durch die sogenannte Endosymbiontenhypothese erklärt.

 

2.2.             intimate strangers

Mikroorganismen und Menschen

 

Mikroorganismen bzw. durch sie ausgelöste Krankheiten haben von je her das Leben des Menschen in vielfältiger Weise beeinflusst. Krankheiten wie die Pest im Mittelalter und die „Weiße Pest“ (Tuberkulose) im 19. Jahrhundert haben zu deutlichen Einschnitten in der Bevölkerungsdichte und teilweise zu Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur des Menschen geführt. Tod und Siechtum waren daher nicht selten Motive der zeitgenössischen Kunst. Noch heute zeigen die Erfahrungen mit SARS oder Milzbrand, welche Wirkung Krankheitserreger sogar auf den modernen, aufgeklärten Menschen haben.

 

2.2.1 historische Aspekte:

Ø       Darstellung der Infektionskrankheiten in der zeitgenössischen Kunst am Beispiel der Pest in Form eines apokalyptischen Reiters. Der damaligen Bevölkerung war die Natur der Pest als durch den Rattenfloh übertragene Erkrankung nicht bewusst. Dennoch war die Bedeutung der Pest an sich für die mittelalterliche Bevölkerung außerordentlich. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Darstellung Schwindsüchtiger (an Tuberkulose erkrankte Patienten) durch zeitgenössische Künstler wie etwa Krogh oder Munch ein beliebtes Motiv.

 

Ø       Mikroorganismen und die gesellschaftliche Entwicklung: Historiker gehen davon aus, dass die Pest im Mittelalter durch die hohe Letalität und den damit verbundenen Rückgang an Arbeitskräften gewaltige Umstrukturierungen in der Gesellschaftsform getriggert hat und damit langfristig zu Entwicklung moderner Gesellschaftsstrukturen beigetragen hat. Die mittelalterlichen Seuchenzüge haben ca. ein Viertel der gesamten Weltbevölkerung das Leben gekostet.

 

Ø       Mikroorganismen und Kriege (Mittelalter): In der Regel aus Unkenntnis über die Natur von Infektionskrankheiten gerieten Schlachten bzw. Militärschläge auf Grund von Infektionskrankheiten zu Niederlagen. Als Beispiel seien der Russlandfeldzug Napoleons und das Fleckfieber genannt. Napoleon verlor den größten Teil seines Heeres durch Fleckfieber und später durch Einwirkung von Kälte aber nur einen geringen Teil der Soldaten durch direkte Kampfeinwirkung! Von 600.000 Soldaten, mit denen Napoleon in den Russlandfeldzug ging kamen nur ca. 3000, davon die meisten ernsthaft krank, zurück. Selbst noch zu Beginn des 20 Jahrhunderts bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts konnten Infektionskrankheiten den Ausgang militärischer Operationen beeinflussen, da es an geeigneten Behandlungsstrategien mangelte (so starben z.B. in den Weltkriegen mehr Soldaten an Infektionen, die auf Grund ihrer Verletzungen entstanden als an Schussverletzungen selbst).

 

2.2.2. heutige Bedeutung der Mikroorganismen für den Menschen

Ø       Kontagiosität (Ansteckungsgefahr) und Prävention. Die medizinische Mikrobiologie und die Hygiene haben die Lebensräume von Infektionserregern, die Übertragungswege, die Interaktionen mit dem Immunsystem des Menschen und die Lebensbedingungen der Mikroben weitgehend aufgeklärt. Die größten Erfolge in der Medizin lagen in der Entwicklung zielgerichteter Präparate zur Bekämpfung der Erreger (Antibiotika) sowie in der Entwicklung von Impfstoffen zur Vermeidung von Infektionen. Dennoch stellen Infektionskrankheiten noch immer die häufigste Todesursache dar (siehe unten).

Ø       Pathogenitäts- und Virulenzmechanismen - wie entstehen Krankheiten. Einige Erkrankungen sind mittlerweile bis ins kleinste Detail verstanden. Beim Verständnis der Wirt-Parasit-Interaktionen leistet die Sequenzierung der chromosomalen DNA von Bakterien entscheidende Hilfe. Von einem großen Teil der humanmedizinisch wichtigen Bakterien wurde mittlerweile das Gesamtgenom entschlüsselt, ebenso das Gesamtgenom des Menschen.

Ø       Funktionen des Immunsystems à mit Hilfe dieses Wissens gezielte Entwicklung von Impfstoffen (Vakzinen)

Ø       emerging infections: von Zeit zu Zeit beobachten Mediziner, dass bestimmte Erreger bzw. Infektionskrankheiten plötzlich zunehmen (emerging!). Die Situation kann unterschiedlich ausgehen, manche dieser emerging infections werden nur kurze Zeit beobachtet, andere entwickeln sich zu ernsthaften Problemen für die Medizin (auch die HIV-Infektion war einmal eine „emerging infection“). Ein aktuelles Beispiel für eine emerging infection ist das West Nile Virus, welches zurzeit in den USA eine Ost-West Ausbreitung zeigt und ursprünglich aus Afrika kommt. (aktuelle Trends unter http://www.cdc.gov bzw. http://www.cdc.gov/mmwr). Auch die in den letzten 2 Jahren aufgetretene Erkrankung SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome) sowie die neu aufgetretene Variante der Vogelgrippe in den ersten Monaten des Jahres 2004 fallen unter die Kategorie „emerging infections“. Durch die Medien werden Ausbrüche solcher Infektionen/Erkrankungen gerne in unangemessener Weise hochstilisiert.

Ø       nosokomiale Infektionen als moderne Herausforderung der Hygiene: Die hochtechnisierte Medizin ermöglicht enorme diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, vermag Organe zu transplantieren und Stammzellen zu manipulieren, dennoch stellen Infektionskrankheiten ein hohes Risiko für den hospitalisierten Patienten dar.

Ø       Antibiotika-Resistenzen als Herausforderung der Mikrobiologie. Der wohl wichtigste Erreger nosokomialer Infektionen, Staphylococcus aureus, imponiert durch eine weitreichende Ausstattung an Antibiotika-Resistenzen. Der überwiegende Teil klinischer Stämme von S. aureus ist mittlerweile gegen Penicilline resistent (bei Einführung des Penicillins gab es keine resistenten Stämme!). Ein ebenfalls zunehmender Teil der Stämme hat darüber hinaus Resistenzen auch gegen alle zum Penicillin strukturverwandten Antibiotika entwickelt (sog. MRSA für Methicillin-resistente S. aureus). Während die MRSA Stämme noch empfindlich gegen das Vancomycin sind wurden bereits vor einigen Jahren Isolate mit einer verminderten Empfindlichkeit gegenüber Vancomycin detektiert. Neue Antibiotika-Klassen sind zurzeit nicht in der Entwicklung, vielmehr haben einige große Pharmafirmen die Antibiotika-Entwicklung mittlerweile zurück gefahren.

Ø       Biologische Kriegsführung und Bioterrorismus: Der Bioterrorismus und die biologische Kriegsführung sind keine Erfindungen des beginnenden 21. Jahrhunderts. Bereits in der Schlacht von Kaffa (1346) war die biologische Kriegsführung Teil der Strategie. Damals wurden Leichen von an Pest Verstorbenen über die Mauern der Stadt Kaffa geschleudert. Beispiele für den Einsatz von Krankheitserregern zu militärischen oder terroristischen Zwecken finden sich bis in das 21. Jahrhundert.

 

(Hinweis: Die Informationen zum Thema Bioterrorismus sowie die hierzu gezeigten Dias entstammen zum Teil dem Vortrag „Bioterrorismus“ von Prof. Dr. H.K. Geiss im Infektiologischen Arbeitskreis am 16.10.2001)!

 

Nachdem über viele Jahre kaum etwas zum Thema Biologische Waffen oder Bioterrorismus publiziert wurde, hat das Thema im Nachgang zu den Ereignissen, die mit dem 11.09.2001 begannen, enorm an Bedeutung gewonnen (vergl. z.B. websites wie etwa http://www.medical-tribune.de/GMS/bericht/biokiller). In wissenschaftlichen Fachzeitschriften erscheinen zunehmend Fachartikel über die als mögliche Biowaffen in Frage kommenden Mikroorganismen (z.B. über Bacillus anthracis: http://www.cdc.gov/ncidod/EID/pastcon.htm ; Volume 8; Nr. 10; Oct. 2002 anklicken). Länder wie Israel, die USA oder jüngst England bereiten sich auf mögliche Anschläge mit dem Pockenvirus vor.

(Zur Bedeutung des Pockenvirus siehe z.B. Drazen JM (2002): „Perspectives: Smallpox and Bioterrorism“ New England Journal of Medicine 346 Vol. 17:1262-1263; http://www.nejm.org)

 

Weitere aktuelle Informationen zu B. anthracis („Anthrax“) und anderen potentiellen biologischen Waffen auch unter http://www.cdc.gov!

 

 

2.2.3. Globale Situation im Hinblick auf das Vorkommen von Infektionskrankheiten und damit assoziierten Problemen für die humane Gesamtpopulation:

Ø       Übersicht: Todesfälle durch Infektionskrankheiten: Industrienationen vs. Entwicklungsländer. Hier besteht ein klares Gefälle. Impfstoffe und Medikamente sind in den reichen Ländern für den größten Teil der Bevölkerung verfügbar, in den Entwicklungsländern hingegen reichen die pro Kopf und Jahr verfügbaren Finanzmittel nicht einmal annähernd, um auch nur die wichtigsten Impfungen oder Therapien durchzuführen.

Ø       WHO Statistik: Letalität unter der Population der 0-44 jährigen Gesamtbevölkerung bzw. der 0-4 jährigen Gesamtbevölkerung, aufgeschlüsselt nach Ursachen. à knapp die Hälfte (0-44 jährige) bzw. fast 2/3 (0-4 jährige) aller Todesfälle gehen zu Lasten der Infektionskrankheiten (obwohl einige der wichtigsten Infektionen mittlerweile impfpräventabel sind)! Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass trotz enormer Forschungsanstrengungen noch keine (wirksamen) Impfstoffe gegen die so genannten „big three“ (HIV, Malaria, Tuberkulose) verfügbar sind.

Ø       WHO Statistik: Infektionskrankheiten, Überblick über die wichtigsten bzw. weltweit häufigsten Infektionskrankheiten (Daten der WHO für 1999 für die Tuberkulose, sexuell übertragbare Erkrankungen [STD], Durchfallerkrankungen und HIV-Infektionen (!) bzw. AIDS-Fälle).

Ø       Als Beispiel für die Bedeutung einer der „großen“ Infektionskrankheiten sei die globale Epidemiologie der Tuberkulose dargestellt.


Die Tuberkulose stellt die weltweit häufigste durch einen einzigen Krankheitserreger verursachte Infektionskrankheit dar. Die WHO (http://www.who.org ) listet für das Jahr 2002 insgesamt mehr als 30 Millionen gemeldete Fälle weltweit auf. An Neuerkrankungen wurden 8.798.000 Fälle verzeichnet was einer Inzidenz (weltweit) von etwa 144/100.000 entspricht (zum Vergleich Deutschland: 7866 Erkrankungsfälle entsprechend einer Inzidenz von 9,6/100.000 im Jahr 2001[1] ). In den industrialisierten Ländern ist die Häufigkeit der Tuberkulose rückläufig (z.B. Deutschland: 1950: 264,7/100.000; 2000: 9,6/100.000; Angaben des Robert Koch Instituts Berlin; http://www.rki.de ). In den ärmeren bzw. unterentwickelten Ländern der Erde beobachtet man nach wie vor extrem hohe Erkrankungszahlen, die im Gefolge der AIDS-Pandemie noch weiter im Ansteigen begriffen sind. Mehr als 90% der Erkrankungen und der durch die Tuberkulose verursachten Todesfälle entfallen auf die unterentwickelten Länder! Im Jahr 2002 starben weltweit 1.566.000 Menschen an der Tuberkulose.

 

Tabelle 5: Epidemiologische Daten zur Tuberkulose (Angaben in 1000) für das Jahr 2002 lt. WHO Bericht 2004, aufgeschlüsselt nach WHO Regionen (Quelle: WHO, Tuberculosis fact sheet, http://www.who.org).

WHO Region

Todesfälle

Neuerkrankungen

The Americas

46

370

Europe

69

472

East Mediteranean

138

622

Africa

348

2354

West Pacific

366

2090

South-East Asia

599

2890

 

 

Infektionskrankheiten sind global betrachtet eines der wichtigsten Probleme und die häufigste Todesursache: Die Situation entspricht einem klassischen Nord-Süd-Gefälle!

 

Die Häufigkeit von Infektionskrankheiten hängt ganz wesentlich von den allgemeinen Lebensumständen (Ernährungssituation, hygienische Standards, etc.) einer Bevölkerung ab. Gerade in den Entwicklungsländern führen politische oder religiöse Konflikte und das daraus resultierende „Chaos“ fast zwangsläufig immer wieder zu Seuchen, die in den entwickelten Ländern beinahe unbekannt oder zumindest seit langem „vergessen“ sind. So stieg zum Beispiel die Anzahl der Cholera-Fälle in Monrovia (Liberia) im Zuge des Bürgerkriegs im Jahre 2003 beinahe Explosions-artig an (Abb. 4; MMWR 2003, Vol. 52 No. 45 S. 1095 (als pdf zum download unter http://www.cdc.gov))

Abb. 4: Entwicklung der Cholera-Inzidenz in der liberianischen Hauptstadt Monrovia während der Bürgerkriegs-ähnlichen Unruhen im Sommer 2003. Angeben sind die Kalenderwochen und die Monate des Jahres 2003 bis September. (Daten aus MMWR 52 Vol 45).

 

 

 


Die genannten Zahlen und Beispiele sollen die profunde Bedeutung der Infektionskrankheiten und damit ihrer Erreger verdeutlichen, die diese immer noch für den modernen Menschen haben. Obwohl die Vorgänge, die zu einer Infektionskrankheit führen, heute sehr genau verstanden werden, stellen Infektionen immer noch DIE Herausforderung an die Medizin dar!

 

 



[1] Quelle: Robert Koch Institut (2003): Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für das Jahr 2001.